Institutionen
Im Kanton Bern haben die eidgenössischen Wahlen von 2011 und 2019 zu einem sehr bedauerlichen Ereignis geführt. Zum ersten und zweiten Mal seit 1848 ist eine ganze Bevölkerungsgruppe, dank derer sich der Kanton rühmen kann, zweisprachig zu sein und eine Brückenfunktion zwischen den Kulturen der Romandie und der Deutschschweiz zu erfüllen, nicht mehr im Nationalrat vertreten. Zwischen diesen beiden Wahlen wurde mit Manfred Bühler nur ein Romand gewählt, der nach der Wahl von Albert Rösti in den Bundesrat in den Nationalrat zurückkehrte. Zudem sind auch 50 Jahre nach der Einführung des Frauenstimmrechts Teile der Bevölkerung wie Jugendliche ab 16 Jahren, Ausländer (siehe "Migration und Integration") und Personen unter umfassender Beistandschaft noch immer nicht stimmberechtigt.

Die Untervertretung der Romands im Kanton Bern im Nationalrat ist nicht nur für die Französischsprachigen bedauerlich, sondern für den zweisprachigen Kanton als Ganzes, dessen Deputation zwischen 2019 und Anfang 2023 ausschliesslich aus Deutschschweizern bestand. Die französischsprachige Minderheit im Kanton Bern macht rund 10 % der Bevölkerung aus. Sie hätte Anspruch auf zwei der vierundzwanzig Sitze (2,4 Sitze), auf die der Kanton Bern Anspruch hat. Damit diese Vertretung gewährleistet ist, könnte ein System analog zu demjenigen, das im Kreis Biel-Seeland für die Grossratswahlen gilt, in Betracht gezogen werden. Von den 27 zu besetzenden Sitzen sind vier für Listen garantiert, die ausschliesslich Kandidaturen aus der Romandie aufweisen. Werden diese nach der üblichen Proporzverteilung nicht vergeben, werden Sitztransfers zwischen unterlegenen Listen vorgenommen.
Die Tatsachen haben gezeigt, dass die Bevölkerung des Berner Juras zwar in der Kantonsverfassung anerkannt ist, aber keine Garantie hat, einen ihrer Vertreter in den Nationalrat zu wählen, was die niedrige Wahlbeteiligung in dieser Region erklärt. Dasselbe gilt für die Romands im Arrondissement Biel. Nur durch Wahltricks, z. B. durch die Kumulierung französischsprachiger Kandidaten durch die Kantonalpartei, durch Listenverbindungen oder eine heterogene regionale Liste, können der französischsprachigen Bevölkerung des Kantons Perspektiven geboten werden. Es ist jedoch festzustellen, dass seit der Wahl von Jean-Pierre Graber, dem einzigen kumulierten Kandidaten auf seiner Liste, keine andere Partei seither auch nur einen einzigen Romand auf ihren Listen kumuliert hat.
Schliesslich ist zu betonen, dass die Deputationen in den eidgenössischen Räten der anderen mehrsprachigen Kantone (Freiburg, Wallis, Graubünden) systematisch durch Parlamentarier aus einer Minderheitensprache vertreten sind. Während die Zusammensetzung des Bundesrats die Vielfalt des Landes berücksichtigen muss, darf die Zusammensetzung des Nationalrats keine Bevölkerungsgruppen ausschließen, wie etwa die der Romands im Kanton Bern, die aufgrund ihres geringen demografischen und politischen Gewichts in ihren jeweiligen Kantonen benachteiligt werden.
Die Ausweitung des Wahlrechts ist ein wichtiges aktuelles Thema, das dazu beitragen würde, einen Teil der Bevölkerung nicht mehr auszuschließen. Zuletzt hat der Große Rat des Kantons Bern für das Wahlrecht ab 16 auf kantonaler Ebene gestimmt. Die Bevölkerung lehnte es jedoch ab, ihnen das Stimmrecht auf kantonaler Ebene zu gewähren.
Seit Glarus dieses Recht im Jahr 2007 eingeführt hat, ist kein anderer Kanton diesen Schritt gegangen, obwohl diese Frage in den letzten Jahren in verschiedenen Kantonen behandelt wurde. Am 26. September haben sich die Wähler in Uri zu diesem Thema geäußert. Außerhalb unserer Grenzen gewährt Österreich dieses Recht seit etwa zehn Jahren. Im Kanton Glarus können Jugendliche ab 16 Jahren an den Wahlen zum Kantonsparlament und zur kantonalen Exekutive teilnehmen, aber auch ihre beiden Vertreter in den Ständerat wählen. Allerdings können sie nicht an den Nationalratswahlen teilnehmen, da es sich dabei um eine rein föderale Angelegenheit handelt. Es sei darauf hingewiesen, dass in diesem Kanton das passive Wahlalter weiterhin bei 18 Jahren liegt, wie es der Grosse Rat des Kantons Bern wünscht. Auf Bundesebene wurde ein Vorstoss von Sibel Arsalan (Grüne/BS) vom Nationalrat angenommen, während die Staatspolitische Kommission des Ständerats dem Vorstoss zustimmte.
Es ist wichtig, das Wahlrecht ab 16 Jahren zu gewähren, da die Zahlen zeigen, dass die Wahlbeteiligung traditionell niedrig ist. Wenn junge Menschen wählen dürften, würde dies die Anzahl der Personen, die zur Wahl gehen können, erhöhen. Außerdem würde dies die Schulen dazu anregen, die Schüler noch früher und aktiver zu unterrichten. So könnten sie das Gelernte schneller in die Praxis umsetzen, indem sie die Möglichkeit haben, zu wählen.
Ausserdem würde die Gewährung des Wahlrechts mit 16 Jahren der politischen Bildung sicherlich neue Impulse verleihen. In einer direkten Demokratie, in der das Medianalter der Wähler mit 57 Jahren besonders hoch ist, macht eine Senkung des Wahlalters durchaus Sinn. Da junge Menschen die Zukunft der Gesellschaft sind, ist es wichtig, ihr Interesse an der Politik zu wecken, damit sie ihre Meinung äußern können, indem sie wählen gehen, aber auch indem sie Volksinitiativen starten und unterzeichnen können. Manche behaupten jedoch, dass junge Menschen sich nicht für Politik interessieren, sich beeinflussen lassen könnten oder nicht reif genug seien. Dabei unterscheiden sich die Jugendlichen in dieser Altersgruppe gar nicht so sehr von den Erwachsenen. Einige würden sich der Stimme enthalten, während andere ihr Bürgerrecht mit großem Enthusiasmus ausüben. Außerdem ist die Jugend bekanntlich keine Zeit für die Beeinflussung durch Ältere, sondern für die Selbstbehauptung. In vielen Parteien gibt es besonders aktive Jugendabteilungen. Wenn Jugendliche reif genug sind, um sich an deren Gründung zu beteiligen, warum sollten sie dann nicht wahlberechtigt sein?
Viele junge Menschen erheben ihre Stimme zu verschiedenen Themen, die sie besonders betreffen. Das bekannteste ist das Klima, für das sie sich massiv eingesetzt haben. Dies zeigt, dass sich junge Menschen entgegen weit verbreiteter Vorurteile für politische Themen interessieren und engagieren. Es ist daher unfair, sie zu ignorieren, zumal Themen wie die berufliche Vorsorge oder der Klimawandel sie direkt betreffen.
Aus den Erfahrungen in Glarus geht schließlich hervor, dass die Teilnahme von Jugendlichen an der Landsgemeinde massiv ist. Sie haben den Mut, sich zu äußern, indem sie dort vor 6000 Menschen ausgezeichnete Reden halten und dabei oft bessere Reden halten als ältere Wähler. Niemand kritisiert dieses Recht mehr, auch nicht der Präsident der Jungen SVP. Der Erfolg des Glarner Experiments, mit 14 Jahren Abstand, sollte auch die größten Skeptiker überzeugen!
Die Beistandschaft ist eine freiwillige oder staatlich verordnete Schutzmaßnahme für eine volljährige oder minderjährige Person, die Hilfe benötigt. Es gibt vier Arten: Begleit-, Vertretungs-, Kooperations- und umfassende Beistandschaft. Letztere wird nur dann eingerichtet, wenn die anderen Beistandschaften einzeln oder in Kombination miteinander nicht ausreichen, um die betroffene Person angemessen zu schützen. Der Beistand hat dann den Status eines gesetzlichen Vertreters der betroffenen Person. In der Regel werden ältere Menschen, Menschen mit geistiger Behinderung, Menschen mit psychischen Problemen, Menschen mit Suchtproblemen oder Menschen, die Hilfe bei der Bewältigung ihres Alltags benötigen, unter Vormundschaft gestellt. Es gibt kein typisches Profil, da die Fälle sehr unterschiedlich sind.
Am 29. November 2020 haben die Bürgerinnen und Bürger des Kantons Genf mit 74,77% einer Verfassungsänderung zugestimmt, die es Personen unter umfassender Beistandschaft ermöglicht, die gleichen Rechte wie alle anderen zu haben. In diesem Bereich nimmt der Kanton Genf damit eine Vorreiterrolle ein. Damit erhielten rund 1'200 Personen ihre politischen Rechte, allerdings nur auf lokaler und kantonaler Ebene; das Bundesgesetz muss in Bern vorangetrieben werden. Im Kanton Waadt stimmte der Grosse Rat am Dienstag, den 5. Oktober 2021, mit 73 zu 55 Stimmen bei 8 Enthaltungen einer Motion zu, die das Wahlrecht für Menschen mit Behinderungen unter umfassender Beistandschaft wieder einführen will. Wie in Genf muss diese Änderung durch eine Volksabstimmung erfolgen. In den Parlamenten von Freiburg, Wallis, Zürich und Neuenburg wurden oder werden ähnliche Schritte unternommen.
Auf nationaler Ebene hat der Ständerat kürzlich ein Postulat von Marina Carobbio angenommen. Demnach soll der Bundesrat einen Bericht vorlegen, um zu evaluieren, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, damit Menschen mit geistiger Behinderung uneingeschränkt am politischen Leben teilhaben, wählen und gewählt werden können, im Einklang mit dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung. Diese Bestimmung, die darauf abzielt, Personen unter umfassender Beistandschaft das Wahlrecht vorzuenthalten, stellt einen diskriminierenden Verstoß gegen den Grundsatz des allgemeinen Wahlrechts dar, der verlangt, dass die Wählerschaft so weit wie möglich definiert wird, ohne jemanden aufgrund von Kultur, Bildung, Sprachkenntnissen, Merkwürdigkeit oder Einkommen auszuschließen. Sie verwehrt somit bestimmten Bürgern die Teilnahme am politischen Leben, weil ein intellektuelles, psychisches oder soziales Versagen eine Maßnahme des Erwachsenenschutzes erforderlich gemacht hat. In sozialer Hinsicht führt ein solcher Entzug der politischen Rechte aufgrund einer sozialen Verwundbarkeit dazu, dass diese Personen stigmatisiert werden, die mit ihnen verbundenen Stereotypen ideologisch legitimiert werden und somit das Diskriminierungsverbot schwer verletzt wird. Darüber hinaus ist es notwendig, dass das Kriterium, das auf die Urteilsfähigkeit im Bereich der politischen Rechte anwendbar ist, sehr flexibel ist. Daraus folgt, dass Personen, die unter umfassender Beistandschaft stehen, urteilsfähig sein können und dennoch allein aufgrund ihrer sozialen Situation von ihren kantonalen und kommunalen politischen Rechten ausgeschlossen werden, ohne dass ihre staatsbürgerliche Fähigkeit überhaupt beurteilt wurde!
Darüber hinaus steht der Entzug der politischen Rechte aufgrund einer dauerhaften Urteilsunfähigkeit eindeutig im Widerspruch zu den internationalen Verpflichtungen der Schweiz, insbesondere zur UNO-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Wenn im Schweizer Recht eine Urteilsunfähigkeit in einem Bereich besteht, kann sie rechtlich nicht auf andere Bereiche extrapoliert werden. Denn die Urteilsfähigkeit bezieht sich immer auf eine bestimmte Handlung. So kann eine Person nach dem Zivilgesetzbuch urteilsunfähig sein, um ein Vermögen zu verwalten, aber urteilsfähig, um einen Mietvertrag abzuschließen oder eine berufliche Tätigkeit aufzunehmen. Daher kann aus der Existenz einer umfassenden Beistandschaft nicht auf die Unfähigkeit geschlossen werden, die Herausforderungen einer Abstimmung oder einer Wahl zu verstehen und sich nach seinen politischen Ansichten zu entscheiden. Gegenwärtig wird der Entzug der politischen Rechte mitunter sehr hart erlebt. Immer mehr Menschen mit geistiger Behinderung möchten sich öffentlich äußern und ihre Rechte geltend machen. Dies ist vor allem in Vereinen zu beobachten, wo sie sich stark für alle Themen engagieren, die ihre Autonomie und Entscheidungsbefugnis betreffen. Diese Menschen sind genauso wie andere in der Lage, eine wohlüberlegte Entscheidung zu treffen und somit auch zu wählen. Außerdem werden Menschen, die Politik nicht verstehen oder sich nicht dafür interessieren, die keine Ahnung haben, was eine Abstimmung ist, ohnehin nicht zur Wahl gehen. Wie in der übrigen Bevölkerung gibt es auch in dieser Gruppe Menschen, die politisch aktiv sein wollen, und andere, die sich dazu nicht in der Lage fühlen oder kein Bedürfnis danach verspüren.
Konkrete Ideen
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Der Romandes-Minderheit im Kanton Bern eine minimale Vertretung im Nationalrat sichern
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Änderung der Bundesverfassung, wonach das Wahlverfahren für den Nationalrat den sprachlichen Minderheiten in den mehrsprachigen Kantonen eine Anzahl von Sitzen zusichert, die mindestens der Bevölkerungszahl der betreffenden Minderheiten entspricht.
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Das Wahlrecht auf kommunaler und kantonaler Ebene auf 16 Jahre senken
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Wiederherstellung der politischen Rechte von Personen, die unter umfassender Beistandschaft stehen
